Eine Fahrt mit der Concordia II auf der Harle von Carolinensiel nach Harlesiel ist zugleich auch eine Reise in die Geschichte des Sielortes.
Stampfend setzen sich die Schaufelräder der Concordia II in Bewegung. Wir wollen in Carolinensiel eine Schifffahrt machen. Mit dem Raddampfer. Eine Fahrt auf der Harle. Vom Museumshafen Carolinensiel bis nach Harlesiel, zum Yachthafen. Dort, wo der Außenhafen ist, wo es dann in die Nordsee geht.
Das ist die Concordia II
Die Concordia II legt im Museumshafen von Carolinensiel an. Hier geht es an Bord. Die Concordia II ist ein sogenannter Seitenraddampfer. 100 Passagiere können mitfahren. 15 Meter ist das Schiff lang. Es gibt unten einen Salon und es gibt das Oberdeck.
Im Sommer fährt das Schiff mehrmals täglich. Man kann vom Museumshafen zum Yachthafen fahren oder eine Rundfahrt machen. Das heißt, man bleibt in Harlesiel sitzen und fährt wieder nach Carolinensiel zurück. Das dauert dann insgesamt so eineinhalb Stunden. Wir fahren mit maximal 12 Kilometern in der Stunde. Bezahlen muss man übrigens auf dem Schiff, beim Einstieg. Man zahlt in bar.
- Die Concordia II im Hafen von Carolinensiel
- Die Concordia II verlässt den Hafen
- Die Fahrt auf der Harle beginnt
Im Museumshafen vorbei an Plattbodenschiffen
Wir fahren nun langsam durch den Museumshafen. Hier liegen einige alte Schiffe. Der Hafen war einmal einer der größten ostfriesischen Siel- und Handelshafen an der Nordseeküste. Heute liegen hier einige Plattbodenschiffe. Das sind Segelschiffe ohne Balkenkiel und die sind unten flach. Sie haben einen extrem geringen Tiefgang von rund einem bis eineinhalb Meter. So können sie auch im Watt fahren. Plattbodenschiffe wurden früher als Frachtschiff genutzt.
Wir verlassen das Hafenbecken und fahren auf der Harle. Am Ufer liegen auch Plattbodenschiffe. Wir fahren entlang des Boulevards von Carolinensiel. Dort sieht man die Pastorei. Das Haus gehört zum Deutschen Sielhafenmuseum. Das Museum besteht aus mehreren Häusern. Dem Haupthaus, einem Kapitänshaus, dem Pastorat und dann noch einem alten Rettungsschuppen. Am Ufer folgen Cafés, Bootsverleih und Wohnhäuser.
- Auf der Harle zwischen Booten
Carolinensiel ist ein Ortsteil der Stadt Wittmund. Etwas über 1500 Einwohner hat Carolinensiel. Nach Wittmund sind es etwa 13 Kilometer. Von dort kommt auch die Harle, das Gewässer auf dem wir jetzt fahren. Nicht weit von Carolinensiel entfernt liegen die bekannten Orte Bensersiel und Neuharlingersiel.
Vor einigen hundert Jahren war dieser Bereich hier die Harlebucht. Um das Jahr 1500 hat man begonnen Deiche zu bauen. Durch diese Eindeichung hat man Land gewonnen, das sogenannte Marschland.
Die „Goldene Linie“ trennt das Hafenbecken
Entlang der Harle läuft übrigens die historische „Goldene Linie“. Das ist die Grenze zwischen Ostfriesland und Jever, 1666 von Fürstin Christine Charlotte von Ostfriesland und dem Herrn von Jever, Graf Anton Günther von Oldenburg, gezogen. Ein Strich, angeblich mit goldener Tinte auf einer Landkarte. Der Strich lag zwischen Wangerooge und Spiekeroog und setzte sich an Land fort. Diese Linie oder Grenze gilt bis heute. Sie trennt den Landkreis Wittmund in Ostfriesland vom Landkreis Friesland. Die Linie verläuft sogar durch das Hafenbecken von Harlesiel. Dadurch liegt der Anleger der Fähre nach Wangerooge in Friesland.
Die Harle ist ein kleiner Fluss. Ein sogenanntes Marschengewässer. Aus den Quellarmen Norder Tief und Süder Tief, die aus den Moorniederungen kommen, entsteht in Wittmund die Harle.
- Friedlich und ruhig ist es auf der Harle
So entstand Carolinensiel
Wo die Harle auf den Deich traf, hat man um 1730 einen Sielhafen angelegt. Das ist der heutige Museumshafen Carolinensiel, in dem unser Dampfer ablegte. Durch ein Siel, also einen verschließbaren Gewässerdurchlass in einem Deich, konnte das Wasser der Harle bei Ebbe ins Watt abfließen, bei Flut drückte das Meerwasser das Schleusentor zu. Das Wasser konnte nicht eindringen. Das ist sowas wie ein Ventil zur Entwässerung vom Land hinter dem Deich.
Fürst Georg Albrecht von Ostfriesland ließ die ersten Siedler am neuen Hafen Häuser bauen. Namensgeberin für Carolinensiel war die Frau des Fürsten, Sophie Karoline von Brandenburg-Kulmbach. 70 Jahre später hatte der Ort bereits über 700 Einwohner. Man lebte von der Landwirtschaft und der Schifffahrt. Carolinensiel entwickelte sich dann in den Jahren zum wichtigsten Hafen im nördlichen Ostfriesland.
Der neue Deich und ein Rettungsschuppen
1765 baute man einen neuen Deich, weit vor dem alten Deich. Eines der Überbleibsel dieses zweiten Deichs ist die Friedrichsschleuse, die wir nun passieren. Man baute nun an der Harle an diesem neuen Deich Siel und eine Klappbrücke. Dadurch konnten Segelschiffe problemlos in den alten Hafen fahren. Hier fuhren die Frachtensegler raus ins Watt. Sie befuhren die Nordsee, die Ostsee und sie fuhren sogar bis ins Mittelmeer. Sie transportierten Getreide, Gemüse, Kartoffeln sowie Milchprodukte und importierten Holz, Steine, Kohle sowie Kolonialwaren aus Großbritannien.
- Der Rettungsschuppen und die Fischräucherei
- Die Pfahlhäuser in der Harle
Oben auf dem Deich sehen wir vom Schiff aus den Rettungsschuppen, der heute zum Museum gehört. Ein erster Holzschuppen stand hier ab 1865. Das heutige Gebäude ist von 1911. Zunächst lag dort ein Ruderrettungsboot, ab 1932 ein Motorrettungsboot. 1945 wurde die Rettungsstation aufgelöst. Heute gibt es dort eine Ausstellung über die Geschichte der Seenotrettung. Auch ein Ruderrettungsboot ist dort ausgestellt.
Die Concordia II legt zu einem Zwischenstopp an. An der Anlagestelle liegt die Küsten-Räucherei Albrecht. Das ist ein Restaurant und Fischverkauf. Das Unternehmen ist ein Familienunternehmen in dritten Generation. Ein Krabbenfischer hatte hier eine Küsten-Räucherei gegründet.
Die Blütezeit des Hafens und sein Ende
Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte der Hafen von Carolinensiel seine Blütezeit. 1860 gab es hier 40 Kapitäne mit insgesamt 59 Schiffen, außerdem zwei Werften, vier Brauereien und zahlreiche Gaststuben.
Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Dampfschifffahrt populär wurde, kam das Ende des Hafens. In Carolinensiel begann die Zeit der Fischer. Hier an der Friedrichsschleuse war damals der Kutterhafen. Man fing Plattfisch, Muscheln und Krabben. Hier am Deich gab es eine Konservenfabrik, die Muscheln und Krabben verschickte. An der Friedrichschleuse hatte die Firma Albrecht eine sogenannte Darre, auf der kleinere Krabben für die Verarbeitung zu Viehfutter getrocknet wurden.
Die Concordia II fährt weiter. Wir sehen Pfahlhäuser. Häuser komplett auf Pfählen im Wasser. Über einen Steg ist man mit dem Ufer verbunden. „Seeperlen“ heißt das Bauprojekt. Insgesamt 11 Häuser auf Stelzen soll es hier geben. Einige Häuser haben sogar Bootsanleger.
- Das Hafenbecken in Harlesiel
So entstand Harlesiel
1804 war die erste Badesaison auf Wangerooge. Ab jetzt kamen Touristen. Carolinensiel wurde zur Durchgangsstation für die Badegäste. Zunächst legten die Fährschiffe nach Wangerooge und Spiekeroog noch an der Friederichschleuse an und ab.
1885 hatte man die Landgewinnung abgeschlossen. Und zwar dort, wo heute Harlesiel ist, hatte man einen dritten Deich.gebaut. Und am Deich entstand ein neuer Fähranleger. Dann baute man eine Bahnlinie von Jever nach Carolinensiel. Zwei Jahre später fuhr der Zug bereits zum neuen Bahnhof am Fähranleger Harlesiel.
Zwischen 1953 und 1957 entstand dann der Ort Harlesiel mit einem neuen Hafen. Zur Entwässerung der ehemaligen Harlebucht baute man ein Schöpfwerk in den Deich. Dort wird der Harlesieler Hafen in einen Außen- und einen Binnenhafen getrennt. Durch die Schleuse des Schöpfwerks Harlesiel gelangen die Schiffe in den Außenhafen Harlesiel.
Die Concordia II wendet hier. Wir legen in Harlesiel an. Passagiere steigen aus, andere steigen zu. Nach knapp 10 oder 15 Minuten beginnt die Rückfahrt.
- Vorbei an den Museumsschiffen
- Zurück im Museumshafen Carolinensiel
Das Schöpfwerk in Harlesiel
Die Harle entwässert auf 23 Kilometern Länge ein 22.000 Hektar großes Gebiet durch das Siel bzw. über das Schöpfwerk. Über Pumpen werden hier 24 m³ Wasser pro Sekunde ins Watt gepumpt.
Als man 1953 hier den neuen Deich, das Schöpfwerks und den Hafen baute, begann auch die Entwicklung von Carolinensiel zum Nordseebad. Damals hat man 20.000 m³ Sand aufgeschüttet und sich so entstand ein Badestrand. Dann kamen Strandhalle, Campingplatz und Meerwasserfreibad dazu. Seit 2021 ist Carolinensiel-Harlesiel offiziell als Nordseeheilbad anerkannt.
Mitte der 1980er Jahre wurde der heute Museumshafen freilegt. Der nämlich war in den 1950er Jahren verschlickt und nutzlos geworden. Man hatte ihn damals zugeschüttet.
Der Vorgänger der Concordia II
Unser Schiff, die Concordia II, hat natürlich einen Vorgänger. Die Concordia. Die fuhr für nur wenige Jahre hier. Sie pendelte zwischen Carolinensiel und dem Marktplatz in Wittmund. Das war über einen Nebenarm der Harle möglich. 1853 gründete man die Carolinensieler-Wittmunder-Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Und ein Jahr später schon fuhr der Raddampfer Concordia zwischen Wittmund und Carolinensiel.
Die Concordia war in einer Werft in Koblenz gebaut worden. 13 Meter war sie lang, 2,20 Meter breit. 30 Passagiere, der Kapitän, ein Maschinist und ein Matrose konnten mitfahren. Die Concordia fuhr mit Kohle. Man verzichtete, wegen einiger Brücken, auf ein Oberdeck. Zweieinhalb Stunden dauerte die Fahrt nach Wittmund. Sechs Kilometer in der Stunde konnte man fahren. Schon 1956 stellte der Betreiber die Fahrten ein. Die Concordia war unwirtschaftlich, heißt es.
Im Jahr 2000 baute ein Familienunternehmen aus Carolinensiel, die Reederei Albrecht, die Concordia nach. Die Concordia II´entstand. Zum Bau nutzte man die Baupläne der alten Concordia. Bis hin zu den roten Schaufelrädern wurde alles selbst gebaut. Es heißt, dies sei der größte Raddampfer in Ostfriesland und wahrscheinlich der kleinste der Welt.
Der Seitenraddampfer ist heute eine der Attraktionen in Carolinensiel.
Inzwischen ist die Concordia wieder im Museumshafen angekommen. Wir legen an. Die nächsten Passagiere warten schon. Eine nette Fahrt. Für mich war das mehr als ein Schiffsausflug. Es war eine Reise in die Geschichte von Carolinensiel.
Das anderswohin-Video über die Fahrt mit der Concordia