Höhlenwohnungen in Langenstein im Harz

12 Höhlenwohnungen gibt es in Langenstein bei Halberstadt im Harz

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Der Ort Langenstein am nördlichen Harzrand beherbergt einen Schatz. Es sind die Höhlenwohnungen, die wohl interessanteste Sehenswürdigkeit in diesem Teil des Harz

Nur wenige Meter von der Dorfstraße von Langenstein entfernt und ich stehe auf dem schmalen Weg, der am Hang des Hügels lang führt. Wohnung reiht sich hier an Wohnung. Kleine Wohnungen, sehr kleine. Man könnte sie auch kleine Häuser nennen. Sie wurden in den Felsen geschlagen. Irgendwie sehen sie niedlich aus, mit ihren kleinen Türen, den ebenso kleinen Fenstern und den winzigen umzäunten Vorgärten mit blühenden Blumen. Ich überlege. Dort drüben, da könnte Frodo aus dem „Herr der Ringe“ wohnen und dort, da passt Bilbo Beutlin hin.

Ich bin in einem Dorf der Hobbits, denke ich. Hier muss „Herr der Ringe“ beginnen. Wurde hier das Filmepos gedreht? War Tolkien hier, bevor er sein legendäres Werk „Herr der Ringe“  schrieb? Holte er sich hier Anregungen für sein Hobbitdorf im Auenland?

Nichts von allem stimmt. Was aussieht wie ein Hobbitdorf sind schlichtweg Felsenwohnungen im Harz, bis vor knapp 100 Jahren bewohnt von armen Familien. Keine Fantasy also, sondern harte Realität. Ich bin nicht im Auenland, sondern in Langenstein am Harz.

Von Halberstadt aus sind es nur wenige Kilometer bis zum kleinen Ort Langenstein, der fast unbeachtet am nördlichen Harzrand liegt. Besucher würden selten hierherkommen, sondern eher über die nahe Bundesstraße weiter nach Quedlinburg fahren. Würden, aber Langenstein beherbergt einen Schatz. Es sind diese Höhlenwohnungen, die immer mehr Interessierte anlocken.

Die Wohnungen wurden in den Harz-Fels geschlagen

Insgesamt 12 Höhlenwohnungen gibt es hier, zehn davon liegen am Schäferberg. Aufgereiht wie an einer Straße liegen sie in diesem Hügel, an dem das Dorf hoch gebaut wurde. Der Weg zu den Höhlenwohnungen ist ausgeschildert, dennoch sind die am Schäfersberg nicht einfach zu finden. Parkplätze gibt es nur am Dorfstraßenrand einige wenige. Ein Verein kümmert sich liebevoll um diesen kulturellen Schatz, hat alles hergerichtet. Auf Wunsch werden auch Führungen durchgeführt.

Zwischen 1855 und 1858 wurden diese zehn Wohnungen in den Sandsteinfelsen geschlagen. Es waren die zukünftigen Bewohner selbst, die diese Arbeit leisteten. In Langenstein gab es zu dieser eine Wohnungsnot. Mehrere junge Familien, sie waren aus Goslar wegen der Arbeit zugezogen, benötigten dringend Wohnraum. Der Gemeinderat erlaubte ihnen den Bau von Höhlenwohnungen.

Diese Art des Wohnens war anscheinend in Langenstein nicht unbekannt. Höhlenwohnungen soll es hier in Langenstein schon in germanischer Zeit gegeben haben. Zwei weitere, aus dem Mittelalter stammend, befinden sich unterhalb der Burg, die über Langenstein thront.

Die Höhlenwohnungen sind je 30 Quadratmeter groß

Gebaut haben die Wohnungen die Familien dann selbst. Mit Hammer, Spitzhacke und Meißel gingen sie ans Werk. Das Dorf hatte ihnen die Felswände verkauft. In diese Felswand schlugen sie nun ihre zukünftigen Behausungen. Der Bau jeder Wohnung dauerte zwischen zwei und fünf Monaten.

Entstanden sind etwa 30 Quadratmeter große Wohnungen – oder besser kleine Häuser. In der Aufteilung ähneln sie einander. Es gab Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer und einen Vorratsraum. Durch den Felsen nach oben führen Schornsteine, unter denen sich gemauerte Herde befinden. Hier war also die Küche.

Einziges Baumaterial in der Mehrzimmer-Höhle waren eine Tür und ein Fenster. Sie waren aus Holz. Die Trennwände zwischen den Räumen sind aus Fels. Zimmertüren gab es keine. Elektrisches Licht gab es hier auch nicht, als 1916 die letzte der Wohnungen von den Bewohnern verlassen wurde. Das Licht, das durch das eine Fenster in den Wohnraum fällt, reichte aus. Eine Spalte über der Tür und die Schornsteine sollten die Luftzirkulation ermöglichen.

Auf den Dächern der kleinen Häuser wächst übrigens Gras. Das waren Weideflächen für Schafe. Der Überlieferung nach gab es dazu einen Spottvers: „In Langenstein, in Langenstein, da schieten de Schaape in Schornstien rein!“, lautet er.

Ludwig Schmidt war Drehorgel-Spieler

Abseits der Höhlenstraße mit den Felsenhäusern liegt auf der anderen Straßenseite eine einzelne Höhlenwohnung. Ein Schild neben der Eingangstür zeigt, dass hier die „Schmidthöhle“ ist. Denn wo es geht, macht man sichtbar, wer in den Höhlenwohnungen einst lebte. In dieser Höhle dann werde ich vom „Hobbitdorf-Traum“ aufgeweckt und in die Realität der Geschichte geworfen.

Links des Eingangs befindet sich eine Gedenktafel mit den Lebensdaten der Eheleute Karoline (1825–1909) und Ludwig Schmidt (1829–1910), die hier lebten. Ludwig Schmidt war als Drehorgel-Spieler tätig. Innen hängen Fotos der beiden Bewohner und ihrer Familie. Bilder, die vor der Höhlenwohnung aufgenommen wurden. Welche Ereignisse, traurige und fröhliche, mögen sich zwischen den alten Felswänden, mitten im Dorf und dennoch so weit davon entfernt ereignet haben?

Stall und Vorratsraum

Zwischen 1900 und 1910 wurden die meisten Wohnungen aufgegeben. Die letzte Wohnung wurde 1916 verlassen. Die ehemaligen Wohnungen dienten nun als Stall oder Vorratsraum. Bis 1990 ist solch ein Gebrauch als Stall bzw Vorratskeller nachgewiesen.

Hätte es den Verein Langensteiner Höhlenwohnungen nicht gegeben, die Höhlenwohnungen wären wohl in Vergessenheit geraten und heute wohl verschwunden. So aber hat man sie wieder hergerichtet und mit Mobiliar ausgestattet. Überall hat man den Eindruck, die Bewohner würden gleich zurückkehren, Feuer machen, sich auf Stühle setzen. Und vielleicht, überlege ich, ist ja doch ein Hobbit unter diesen Bewohnern. Wer weiß?

anderswohin.de-Video über die Höhlenwohnungen in Langenstein

INFOS

Langenstein liegt 6 km südlich von Halberstadt an der B 81. Es gibt keine festen Öffnungszeiten.

Langensteiner Höhlenwohnungen e.V.
Siegfried Schwalbe
Telefon 03941 602108
E-Mail schwalbe-langenstein@gmx.de

Helmut Scholle
Telefon 03941 602104

 

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