Am Abend füllen sich die Cafés und Bistros entlang des Boulevard des Lices. Pkw rauschen vorbei. Paare flanieren durch die engen Straßen der Altstadt. In Arles, die provencialische Stadt am Ufer der Rhone, pulsiert das Leben rund um die römische Arena und die Thermen Konstantins des Großen. Wenige Meter entfernt von diesen lebensfrohen Orten, liegt ein Symbol des Todes. “Heilige Gefilde” – Les Alyscamps, heißt der Ort vor den Toren der ehemaligen römischen Stadt.
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In Arles in der Provence gibt es diese Allee der Toten |
Bis ins späte Mittelalter lag hier das Reiseziel Tausender Toter aus allen Teilen des Landes. Sie kamen auf Wagen und auf Schiffen, manche auch nur die Rhone entlang in Fässern und auf Barken festgebunden – um in Alyscamps den Jüngsten Tag zu erwarten.
“Arelate” – Stadt in den Sümpfen
Die Vergangenheit ist in Arles stets greifbar. Es gibt nicht viele Orte, die das Weiterleben der Antike im Mittelalter so trefflich spüren lassen, wie der im südfranzösischen Arles.
46 vor Christus siedelten hier die Veteranen der 6. Legion Caesars. Gallula Roma, das kleine gallische Rom, nannten die Römer den Ort., der zuvor als “Arelate” – Stadt in den Sümpfen – von Griechen gegründet worden war. Hier residierte Kaiser Konstantin und Barbarossa ließ sich in Arles zum König der Provence krönen.
Größter frühchristliche Friedhof Galliens
Die Christen des Mittelalters waren es, die Arles zur Totenstadt machten. Rechts und links der römischen Via Aurelia vor den Toren der Stadt entstand der größte frühchristliche Friedhof Galliens. Die Toten warteten hier, in Sarkophagen übereinander getürmt unter freiem Himmel auf die Auferstehung. Von weit her kamen die Leichname, von Verwandten in Salzfässern konserviert oder auf Barken festgebunden, die Rhone abwärts schwimmend nach Arles.
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Alle Fotos: Kronenberg |
Die Allee des Tombeaux, die Straße der Sarkophage, ist heute der einzige Überrest der gewaltigen Nekropole – inzwischen das Ziel vieler Touristen. Hunderte Steinsarkophage, vom Regen ausgewaschen und schmucklos, begleiten die Gräberstraße zur Märtyrerkirche St. Honorat, dem einstigen Mittelpunkt des Friedhof.
Wunder am Grab des Heiligen Genest
Es waren Berichte über unzählige Wunder am Grab des Heiligen Genest (im 3. Jahrhundert war er Stadtschreiber in Arles), die Les Alyscamps zum begehrten Bestattungsort machten. Zunächst waren es verstorbene Bischöfe und Adlige, die hier in der Nähe des wundertätigen Genest das Jüngste Gericht erwarten wollten.
Doch schon bald wurden Tote aus der gesamten Provence und dem Languedoc hier her gebracht. Die Eintrittsgebühr für das jenseits, eine Goldmünze für die Totengräber in Arles, steckten die Verwandten den Toten zwischen die Zähne. In Arles fischten Mönche die Totenschiffe aus den Wellen der Rhone und brachten die Leichnahme auf das Gräberfeld. Natürlich endete nicht jede Reise am Grab des Heiligen. Räuberbanden am Ufer der Rhone versuchten die Leichenschiffe abzufangen und die Goldmünzen zu stehlen.
19 Kirchen und Kapellen säumten den Weg
19 Kirchen und Kapellen säumten im Mittelalter den Weg zur Märtyrerkirche. Nur wenige sind bis heute erhalten. Der Friedhof wurde größtenteils beim Bau einer Eisenbahnanlage vernichtet.
Der Lärm, der vom Boulevard des Lices, herüberdrang, ist plötzlich verstummt. Stille umgibt die Lebenden auf der Straße in Richtung Ewigkeit. Hohe Platanen verweigern den Blick auf die modernen Bauten von Arles. Vor der Märtyrerkirche geben Ausgrabungen einen Eindruck von jenem Bild, das sich den Friedhofsbesuchern im Mittelalter bot.
Sarkophage, dichtgedrängt und übereinander gestapelt, gradlinig auf St. Honorat ausgerichtet warten hier auf die Ewigkeit. Die Kirche ist heute Ruine. Der Mittelturm ragt über die Platanen hinaus. Im Mittelalter brannte in seiner Spitze eine rote Laterne. Sie sollte den Toten den Weg nach Arles zeigen.
Zeichen des Todes
Les Alycamps bietet heute nur einen unzureichenden Eindruck von jenem Gräberfeld, dass durch die tiefe Gläubigkeit der Christen des Mittelalters zur riesigen Gräberstadt wurde. Wer Les Alycamps entlanggeht, spürt aber auch heute noch die Faszination des Ortes, sieht die Zeichen des Todes entlang der Straße, von der man glaubte, sie führe in die Ewigkeit.